Erst Kalkutta, dann Oestrich-Winkel. Und dazwischen: Corona. Der
Turnierplan vom Wiesbadener Tennisspieler Niklas Schell ist in diesem
Jahr durch die Pandemie kräftig durcheinandergewirbelt worden. Schell,
der einst beim Wiesbadener THC spielte, wollte eigentlich in der
Metropole im Osten Indiens bei einem Future-Turnier antreten. Das war
Mitte März. Doch als dann die Corona-Welle nach Indien schwappte, musste
Schell binnen weniger Tage das Land verlassen. Und konnte danach
überhaupt nicht mehr auf Punktejagd bei internationalen
Ranglistenturnieren gehen, weil sämtliche Turniere abgesagt wurden.
Diesmal wurde Schell seiner Favoritenrolle gerecht
Am vergangenen Wochenende schlug er nun mal
wieder bei einem Turnier auf - den 4. Ranko Open in Oestrich-Winkel.
Quasi ein Heimspiel für Schell, der im vergangenen Jahr an gleicher
Stelle im Finale noch verloren hatte. Als Topgesetzter ins Turnier
gestartet, wurde der 21-Jährige diesmal seiner Favoritenrolle gerecht.
Im Finale gegen Christian Djonov aus dem rheinland-pfälzischen Gensingen
behielt Schell mit 6:2, 6:2 klar die Oberhand, sicherte sich neben 1000
Euro Preisgeld auch Punkte für das Ranking des Deutschen Tennis-Bunds
(DTB), in dem er Mitte Juli auf Rang 49 notiert war. Seinem großen Ziel,
es in der ATP-Rangliste in diesem Jahr noch unter die ersten 1000
(derzeit Rang 1123) zu schaffen, ist er dadurch zwar nicht
nähergekommen, da es keine Weltranglistenpunkte zu holen gab. Sein
Intermezzo beim Turnier nahe der Heimat genoss er trotzdem: „Es macht
Spaß, hier zu spielen. Die Leute engagieren sich sehr, dass sich die
Spieler wohlfühlen“, sagte Schell. Die Wiesbadener Tennis-Fahne hielten
bei den Ranko Open vier weitere Spieler hoch. Ralf Sillus (VfR
Wiesbaden), Daniel Grey und Luca Kirchhoff (beide WTHC) schieden in der
ersten Runde aus. Jochen Bertsch (TC Blau-Weiß) musste sich im
Viertelfinale knapp im Champions-Tiebreak geschlagen geben.
Lob von einem
Spieler wie Schell für die Turnierorganisation ist man beim TC
Oestrich-Winkel übrigens seit Jahren gewohnt. „Gerade was die Betreuung
und die Atmosphäre angeht, bekommen wir von den Spielern positives
Feedback“, sagte Turnierorganisator Thomas Reinhard. Das 32-köpfige
Teilnehmerfeld sei so stark wie noch nie besetzt gewesen, mit diversen
Top-Spielern aus dem Juniorenbereich. Was vermutlich auch dadurch
zustande kam, dass außer einem Turnier in Wetzlar parallel keine
nennenswerten Konkurrenzveranstaltungen stattfanden.
Viele Vereine
sähen sich nicht in der Lage, ein Tennisturnier unter Corona-Bedingungen
auf die Beine zu stellen, hieß es aus dem TC-Lager. Der TC hingegen
schon. Zusätzlich zur Vorstandscrew um den Vorsitzenden Oliver Mäske und
Stellvertreter Paul Derstroff hatte ein zehnköpfiges Organisationsteam
das Turnier „coronatauglich“ gemacht. Am Eingang wurden Daten jedes
Besuchers erfasst und mit blauen Bändchen kontrolliert, damit sich zu
keiner Zeit mehr als 199 Personen auf der Anlage tummeln. Das Klubhaus
war zum Betreten gesperrt, Essen und Trinken wurden für die zu
Spitzenzeiten rund 170 Zuschauer nur im Außenbereich serviert. Die
Zuschauer saßen jedoch am Finaltag sehr dicht unter dem schattigen
Vordach des Klubhauses, während sie die Partien auf dem Center Court
oder den Nebenplätzen verfolgten. Die Spieler selbst durften das
Klubhaus zum Duschen nutzen, konnten sich außerdem in ihre „Players
Lounge“ – einem Zelt, das nur ihnen vorbehalten war – zurückziehen.
Ein Turnier auch zu Corona-Zeiten durchziehen zu können, hat den TC
bestärkt, im kommenden Jahr die 5. Ranko Open auszutragen. „Wir tun
alles, um dieses Turnier durchzuführen. Das kommt unserer
Jugendabteilung zugute“, erklärt Klubvorsitzender Mäske. Der Verein
möchte vor allem für die Breite attraktiv bleiben, Mitgliedsbeiträge
seien ähnlich zu denen eines Fußballvereins. Und wer weiß, vielleicht
schlägt ja bald mal ein Talent vom Kaliber eines Niklas Schell für den
Tennisclub die gelbe Filzkugel übers Netz.
Wiesbadener Kurier vom 05.08.2020
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